„Streng dich an!“: Wie dieser innere Antreiber uns ausbremst
- Verena Stahl
- 19. Apr.
- 6 Min. Lesezeit

Es gibt Menschen, die arbeiten unermüdlich. Die geben alles, und wenn es nicht reicht, noch ein bisschen mehr. Sie sind engagiert, loyal, fleißig – und doch fragen sie sich am Ende des Tages: „Habe ich heute genug getan?“
Oft sind es genau diese Menschen, die innerlich von einem bestimmten Glaubenssatz angetrieben werden:
„Nur wenn ich mich anstrenge, bin ich etwas wert.“
Was auf den ersten Blick nach einem ehrenwerten Prinzip klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine unsichtbare Blockade. Denn dieser Satz – als innerer Antreiber tief verankert – beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln. Er erschwert gesunde Selbstentwicklung, sabotiert strategische Karriereentscheidungen und steht einer wirksamen, menschenzentrierten Führungskultur im Weg.
In diesem Beitrag geht es darum, diesen Antreiber genauer zu betrachten. Wir gehen seiner Herkunft auf den Grund, schauen auf seine Wirkung in drei zentralen Feldern – Selbstentwicklung, Karriere und Führung – und beleuchten Wege, wie du dich Schritt für Schritt von seinem übermächtigen Einfluss lösen kannst.
Denn: Nicht alles, was uns früher geholfen hat, dient uns heute noch. Und gerade erfolgreiche Menschen dürfen lernen, dass Erfolg nicht immer schwer sein muss.
Woher kommt der Innere Antreiber „Streng dich an!“?
Kein Innerer Antreiber entsteht aus dem "Nichts". Alle haben eine Geschichte. Und diese beginnt oft in der frühen Kindheit – mit Sätzen, die wir von unseren Eltern, Lehrer:innen oder anderen Autoritätspersonen gehört oder zwischen den Zeilen gespürt haben.
Ein klassischer Satz aus dieser Prägungszeit:
„Wenn du dich mehr anstrengst, wirst du das schon schaffen.“
Was als liebevolle Ermutigung gemeint war, wird vom kindlichen Ich oft anders übersetzt:
„So wie ich jetzt bin, reicht es noch nicht.“
„Ich muss mehr leisten, um Anerkennung zu bekommen.“
So entstehen innere Schlussfolgerungen, die sich mit der Zeit verfestigen. Und die später im Erwachsenenleben oft nicht mehr hinterfragt werden.
Was verbirgt sich hinter Inneren Antreibern?
Der Begriff der inneren Antreiber stammt aus der Transaktionsanalyse, einem psychologischen Modell, das vom kanadischen Psychiater Eric Berne entwickelt wurde. Es beschäftigt sich mit den Mustern, nach denen wir denken, fühlen und handeln – besonders in Beziehung zu anderen.
Innere Antreiber sind dabei wie unsichtbare Regisseure im Hintergrund. Sie geben uns Anweisungen, wie wir zu sein haben, um in der Welt bestehen zu können – und vor allem: um gemocht, anerkannt und gesehen zu werden. Etwas, was vor allem People Pleasern besonders wichtig ist.
Das sind die fünf Inneren Antreiber
„Sei perfekt!“
„Beeil dich!“
„Streng dich an!“
„Sei stark!“
„Mach es allen recht!“
Sie wirken meist unbewusst – als innere Stimmen, die uns auf Trab halten. Doch was uns früher half, Anerkennung zu bekommen, kostet uns heute oft unnötig Kraft und verhindert, dass wir unser volles Potenzial ausschöpfen können - privat wie auch beruflich.
Kulturelle Prägung: Warum Anstrengung immer noch als Tugend gilt
Unsere persönliche Prägung wird durch gesellschaftliche Normen zusätzlich verstärkt. In vielen mitteleuropäischen Kulturen – insbesondere im deutschsprachigen Raum – gilt Fleiß als moralisch positiv besetzt. Die protestantische Arbeitsethik, das preußische Pflichtbewusstsein, das Ideal des disziplinierten Menschen: All das wirkt bis heute nach.
Da wird Leichtigkeit schnell mal reflexartig mit Oberflächlichkeit gleichgesetzt. Wer sichtbar entspannt arbeitet, muss sich rechtfertigen. Wer „zu früh“ geht oder Pausen macht, sendet vermeintlich das Signal: nicht engagiert genug. Und wer nach Remote Work fragt, gilt schnell als verdächtig, sich vor (kontrollierter) Arbeit drücken zu wollen.
In Unternehmen zeigt sich das besonders deutlich in einer stark input-orientierten Logik: Nicht der Output, also die Wirkung, der Nutzen der Arbeit, zählt. Sondern der sichtbare Aufwand – die Stunden, die Präsenz, der Einsatz.
Die Arbeitswelt im Wandel: Neue Wege jenseits der Anstrengung
Doch die Arbeitswelt beginnt sich zu wandeln. Mit Konzepten wie New Work, 4-Tage-Woche, Jobsharing, Vertrauensarbeitszeit oder Remote Work verschiebt sich der Fokus:
Weg vom reinen Zeitinvestment – hin zu Wirkung, Wirksamkeit und Sinn.
Diese Veränderung stellt uns vor neue Fragen:
Was heißt es, erfolgreich zu sein, wenn nicht mehr der Aufwand zählt?
Wie gelingt Selbstführung in einem Umfeld, das nicht mehr auf Kontrolle, sondern auf Vertrauen setzt?
Es ist ein kultureller Umbruch. Und er gelingt nur, wenn wir auch innerlich bereit sind, alte Überzeugungen loszulassen. Der Antreiber „Streng dich an!“ wird dabei zum Prüfstein.
Wenn Selbstentwicklung zur Dauerleistung wird
Der Antreiber „Streng dich an!“ zeigt sich in kaum einem Bereich so deutlich wie in der persönlichen Entwicklung. Was auf den ersten Blick nach Wachstumswillen aussieht, kann sich auf Dauer als Überforderung entpuppen – besonders, wenn Entwicklung nicht mehr als ein lebendiger Prozess, sondern als To-do-Liste verstanden wird.
Viele Menschen, die sich für ihre persönliche Entwicklung interessieren, erleben einen ständigen Druck: noch mehr reflektieren, noch tiefer graben, noch besser werden:
„Ich muss mich weiterentwickeln, sonst bleibe ich stehen.“
„Ich darf mich nicht ausruhen – da ist noch so viel Luft nach oben.“
Doch echte Entwicklung braucht Raum. Und sie darf zyklisch verlaufen: mit aktiven Phasen und mit Zeiten des Innehaltens. Wachstum geschieht nicht immer im Sichtbaren. Manchmal wächst man genau dann, wenn man scheinbar „nichts tut“ – sondern beobachtet, integriert, atmet.
Was, wenn du dich heute nicht weiterentwickeln musst – sondern einfach anerkennen darfst, wie weit du bereits gekommen bist?
Karriere machen durch Mühe? Warum Anstrengung nicht gleich Aufstieg bedeutet
Im beruflichen Kontext wirkt der Antreiber „Streng dich an!“ oft wie ein inneres Navigationsgerät – allerdings mit veralteter Karte. Denn wer in der Überzeugung lebt, dass Leistung gleich Anerkennung bedeutet, folgt einem Prinzip, das in vielen Organisationen längst nicht mehr so linear funktioniert, wie es scheint.
Viele engagierte Fach- und Führungskräfte investieren überdurchschnittlich viel – übernehmen zusätzliche Aufgaben, springen für andere ein, arbeiten mehr als nötig. Doch sie verpassen häufig den Moment, sich strategisch zu positionieren. Karriere entsteht nicht automatisch durch Fleiß. Sondern durch bewusste Sichtbarkeit, klare Kommunikation und das Einfordern von Verantwortung.
Woran würdest du merken, dass du dich beruflich weiterentwickelst – auch ohne dich ständig zu verausgaben?
Führung braucht ein inneres Warum
Führungskräfte, die unter dem inneren Druck stehen, sich permanent anstrengen zu müssen, tappen oft in den sogenannten Hero-Modus: Sie übernehmen zu viel, lassen wenig los, kontrollieren mehr als sie vertrauen. Was nach außen wie Verantwortung aussieht, ist innen oft Überlastung.
Der Unterschied zwischen Management und Leadership wird hier besonders relevant:
Management sorgt für Struktur, Ordnung und Effizienz.
Leadership inspiriert, gibt Richtung, verbindet Sinn und Menschlichkeit.
Menschen mit starkem „Streng dich an!“-Antreiber orientieren sich oft an der Management-Logik – weil sie greifbar ist. Doch moderne Führung erfordert etwas anderes: transformationales Denken, Beziehungsarbeit, Haltung. Und vor allem: ein inneres Warum.
Vom Müssen zum Wirken: Leadership by Ikigai
Führung gelingt dann besonders kraftvoll, wenn sie nicht aus dem äußeren Druck, sondern aus der inneren Überzeugung entsteht. Das japanische Konzept Ikigai – frei übersetzt als „das, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen“ – kann hier eine wertvolle Orientierung sein.
Wer sich fragt:
Was kann ich gut?
Was braucht mein Team wirklich von mir?
Was erfüllt mich in meiner Rolle?
Und wie kann ich führen, ohne mich selbst zu verlieren?
…findet einen Weg aus dem Anstrengungsmodus – hin zu einer Führung, die trägt, verbindet und inspiriert.
In welchen Situationen spürst du das Bedürfnis, alles selbst im Griff haben zu müssen – und was würde passieren, wenn du stattdessen bewusst Verantwortung teilst?
Anstrengung allein ist kein Maßstab für Wert
Wer sich immer wieder mit dem Inneren Antreiber „Streng dich an!“ konfrontiert sieht, darf wissen: Dahinter steckt kein Fehler im System, sondern ein über Jahrzehnte entwickeltes Denk- und Verhaltensmuster.
Oft ist dieser Antreiber sogar ein Grund dafür, warum Menschen als zuverlässig, leistungsfähig und engagiert gelten. Doch genau das macht ihn so gefährlich. Denn wenn er unreflektiert die Führung übernimmt, führt er auf Dauer in Erschöpfung, Unzufriedenheit – und innere Leere.
Sich von diesem Muster zu lösen bedeutet nicht, den Einsatz zu verweigern.
Es bedeutet, sich neu zu fragen: Wofür lohnt sich meine Energie? Was wirkt wirklich? Und wo darf ich bewusst loslassen?
Fünf Erkenntnisse für deinen Weg:
Der Antreiber „Streng dich an!“ ist tief verwurzelt – in biografischen Erfahrungen und in gesellschaftlichen Normen. Doch er lässt sich erkennen, hinterfragen und auf ein gesundes Maß zurückführen.
Selbstentwicklung braucht keine Daueranspannung. Wer sich ständig optimieren will, verliert oft den Kontakt zum eigenen Fortschritt. Entwicklung braucht auch Pausen, Integration und Selbstanerkennung.
Karriere entsteht nicht durch bloße Anstrengung, sondern durch Klarheit. Wer ständig Ja sagt, verliert an Profil. Wer Wirkung zeigen will, braucht Mut zur Fokussierung – und zur strategischen Sichtbarkeit.
Führung ist keine Einzelleistung. Wirkungsvolle Führung entsteht nicht durch Dauerbelastung, sondern durch die Fähigkeit, Verantwortung zu teilen, Vertrauen zu schenken und aus innerer Überzeugung heraus zu handeln – z. B. mit Leadership by Ikigai.
Menschen mit People Pleasing-Tendenzen sind besonders gefährdet. Denn sie wollen sowohl gefallen als auch beweisen, dass sie es „wert“ sind – durch Einsatz, durch Anpassung, durch Anstrengung. Wer beides in sich trägt, darf besonders achtsam mit den eigenen Grenzen umgehen.
Wenn du dich in diesen Zeilen wiedererkennst und das Gefühl hast, dass es Zeit ist, alte Muster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen – dann begleite ich dich gern dabei. Ob in einem individuellen Coaching oder im Rahmen eines Workshops für dein Team: Gemeinsam schauen wir, wie du mehr Klarheit, Gelassenheit und Wirksamkeit in dein berufliches Handeln bringst – ganz ohne Dauerdruck. Kontaktiere mich gerne per E-Mail unter info@verena-stahl.ch oder mit Hilfe der nachfolgenden Buttons.