Reverse Mentoring bei psychischen Job-Herausforderungen
- Verena Stahl
- 14. Nov. 2023
- 5 Min. Lesezeit

Herzlich Willkommen, lieber Damian!
Bist du gut angekommen in Kapstadt?
Ja, das bin ich. Ich bin mehr oder weniger direkt im Anschluss an die Diplomfeier in Bern nach Kapstadt in die Nähe meiner Verlobten gezogen, die hier schon seit Anfang diesen Jahres lebt. Hier engagiere ich mich ehrenamtlich bei der Sozo Foundation in einem Projekt, das Jungunternehmer:innen ausbildet und begleitet.
Erzähle uns etwas über deinen Weg bis hierhin.
Ich bin 27 Jahre alt und wuchs im Berner Oberland auf. Aufgrund einer psychischen Erkrankung musste ich meine Banklehre abbrechen. Es folgten eine mühselige Zeit in der Jugendpsychiatrie und diverse Wiedereingliederungsmassnahmen. Meine anschliessende KV-Lehre und die Berufsmatura ebneten mir den Weg für das BWL-Studium an der BFH Wirtschaft, welches ich diesen Sommer abschloss.
Welche Erfahrungen hast du während dieser Zeit gesammelt?
Recht schnell wurde mir klar, dass ich etwas verändern wollte. Ich wollte etwas für die
Entstigmatisierung psychischer Krankheiten tun. So gründete ich zusammen mit einigen Freunden ZETA Movement und leitete es während mehrerer Jahre. Das Ziel von ZETA Movement besteht darin, den Kreislauf der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen in der Schweiz zu durchbrechen. Die Idee ist, dass Jugendliche und junge Erwachsene in einem Stadium der fortgeschrittenen Genesung anderen jungen Menschen von ihrer eigenen Leidensgeschichte erzählen.
Wie kam Euer Engagement an?
Ganz unterschiedlich. Aber es waren nicht alle überzeugt, dass junge Betroffene an Schulen Aufklärungsarbeit leisten können. Die negativen Haltungen änderten sich zum Glück rasch. Unter anderem wurden wir mit dem Prix Jeunesse 2022 ausgezeichnet. Während zwei Jahren war ich zudem Teil des Stiftungsrates der Pro Mente Sana. Und durch mein Engagement bin ich Teil der Global Changemakers Community.
Was hat dich in dieser Zeit besonders geprägt?
Durch meine psychischen Erfahrungen musste ich mich intensiv mit mir selbst auseinandersetzen und meine beruflichen und sportlichen Ziele aufgeben. Noch während der Zeit in der Psychiatrie verspürte ich einen inneren Drang, die Zukunft mitzugestalten und etwas zu verändern.
Einen prägenden Einfluss hatten die Global Changemakers, zu denen ich 2019 stiess. Sie gaben mir die erforderliche emotionale Unterstützung und auch den notwendigen Antrieb für die Gründung von ZETA Movement.
Die vielen Begegnungen im Lager prägen mich heute noch. Während dieser Zeit und auch bei meiner Arbeit bei Pro Mente Sana erhielt ich von verschiedenen Seiten viel Anerkennung. Ich durfte mein Wissen persönlich erweitern und weitergeben, wie z.B. bei einem Gastvortrag an der BFH zum Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz, was mich sehr berührte. So kam ich auch auf die Idee, später allenfalls beruflich in Richtung betriebliches Gesundheitsmanagement zu gehen.
Im Privaten prägt mich sicherlich meine Verlobte. Kurz bevor sie ihr Visum beantragte, um auszuwandern, lernten wir uns kennen. Ohne sie hätte ich den Schritt nach Kapstadt nicht gewagt, und sie inspiriert mich noch immer.
Wie erging es dir selbst mit deiner psychischen Erkrankung?
Meine psychische Erkrankung in so jungen Jahren hat mich stark herausgefordert. Ich traute mich kaum, mit Menschen darüber zu sprechen und fühlte mich sehr einsam und hilflos. Es brauchte Geduld, den Weg in die Gesellschaft wieder zu finden. Zudem musste ich mich aktiv dafür entscheiden, dass ich dies wirklich will, sonst wäre ich jetzt nicht an diesem Punkt in meinem Leben.
Durch mein soziales Engagement, kam ich mit vielen Personen in Kontakt, die „etwas zu sagen“ haben. Für einige war ich zu jung, und ich wurde mit Skepsis (oder auch Ageism) konfrontiert. Ich lernte, überzeugt für das Projekt, für mich und meine Ideen einzustehen, und das hat sich definitiv ausgezahlt.
Lange Zeit war es für mich schwierig, Risiken einzugehen. Ich hatte Angst vor einem Rückfall und der damit verbundenen Abhängigkeit von anderen Menschen. Die Zeit in der Psychiatrie war prägend, und erst mit dem Schritt ins Ungewisse nach Kapstadt konnte ich diese loslassen. Und es fühlt sich wirklich gut an.
Dieses Frühjahr durfte ich als Koreferentin deine Bachelor Thesis betreuen. Ergebnis Bestnote!
Erzähl' mal - was hast du genau in deiner Arbeit betrachtet?
Das Konzept des Reverse Mentoring kenne ich aus meiner HR-Vertiefungsrichtung. Mich interessierte, ob sich der Grundansatz eines "umgekehrten" Mentoring für mein Herzensanliegen nutzen liesse. Reverse Mentoring ist für mich ganz grundsätzlich ein höchst innovativer und spannender Ansatz mit grossem Potenzial, um den Dialog und eine offene Unternehmenskultur zu fördern. Wie sich in meinen Interviews zeigte, wünschen sich alle Beteiligten - Betroffene wie auch Führungspersonen gleichermassen - einen offenen Dialog. Trotzdem gibt es von beiden Seiten viele Hindernisse und ist auch heute noch die Stigmatisierung deutlich spürbar.
Worin besteht die Skepsis bei den Führungskräften?
Ganz oft ist es für sie recht schwierig, den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden mit psychischen Herausforderungen gerecht zu werden. Sie wünschen sich ausdrücklich eine stärkere Partizipationsbereitschaft der Betroffenen. Hier sehe ich grosses Potenzial für das Reverse Mentoring.
Wo siehst du deine persönliche berufliche Zukunft?
Durch meine psychische Erkrankung erlernte ich wichtige Kompetenzen, die mich auch im beruflichen Kontext auszeichnen. Nie hätte ich gedacht, dass ich gerade durch mein ehrenamtliches Engagement so weit kommen würde und auch beruflich profitieren könnte. Das gibt mir Hoffnung, meine Prioritäten im Leben richtig zu setzen. Früher als Co-Präsident bei ZETA Movement wie auch heute als Volontär in Südafrika erhalte ich keinen Lohn. Finanziell gesehen, gäbe es also lukrativere Alternativen. Ich bin aber überzeugt, dass mir diese nicht so viel geben würden.
Ich möchte meine Verletzlichkeit und Schwächen nicht verstecken, sondern diese als Chance sehen. Ich will den Status Quo nicht einfach akzeptieren, sondern mich mit Herausforderungen auseinandersetzen. Zusammen mit anderen Menschen möchte ich innovative Lösungen erarbeiten. In dieser Richtung gibt es sogar erste konkrete Erfolge. Für meine damalige Arbeitgeberin entwickelte ich einen Prototypen und erhielt sehr gutes Feedback dafür. Die Idee findet Anklang in der Arbeitswelt, und das macht mich auch stolz.
Was möchtest du in deinem Jahr in Kapstadt erreichen?
Ich möchte vor allem lernen und wachsen. Hier bin ich mit Menschen aus anderen Kulturen unterwegs, davon möchte ich viel profitieren. Auch möchte ich mir meiner eigenen Privilegien stärker bewusst werden und herausfinden, wo und wie ich mich zukünftig engagieren möchte. Privat möchte ich nach einer Zeit der Fernbeziehung auch physisch Zeit mit meiner Partnerin verbringen und diese voll und ganz geniessen.
Was möchtest du Menschen in einer ähnlichen Lage mitgeben?
Wenn Euch etwas am Herzen liegt und ein Thema beschäftigt, folgt diesem unbedingt. Daraus kann so viel tolles entstehen. Und wer mit psychischen Herausforderungen konfrontiert ist, dem rate ich wirklich, darüber zu sprechen und sich nicht zu verstecken. Ich wünschte, ich hätte mich früher geöffnet und mich früher für meine Anliegen eingesetzt.
Herzlichen Dank, lieber Damian, für deine offenen Worte und dein Engagement. Viel Erfolg in Kapstadt!
Damian Stähli ist von Bern und lebt derzeit in der Nähe seiner Verlobten Sabine in Kapstadt/Südafrika.
Wir kennen uns aus meinem Unterricht im Wahlpflichtfach Change Management, welches Damian im Rahmen seines Bachelor of Business Administration an der Berner Fachhochschule Wirtschaft besucht hat, sowie von seiner Bachelor Thesis.
Bist du an einem Kontakt mit Damian Stähli interessiert?
Blog goes Profiles portraitiert spannende Biografien über Menschen, wie sie an markanten Wendepunkten ihres Lebens persönlichen Herausforderungen begegnet sind!
Mit dem besonderen Spin einer „früher/heute“-Foto-Collage aller Interviewpartner:innen und dem wertvollen Bonus ihrer Kontaktdaten – let’s connect!