Mehr Resilienz durch Stressregulation: Den Raum zwischen Reiz und Reaktion souverän nutzen
- Verena Stahl

- 19. Aug.
- 5 Min. Lesezeit

Wenn der kleine Auslöser die große Welle bringt
Kennst du diese Momente? Du sitzt in einem Meeting, jemand stellt eine kritische Rückfrage – und du spürst, wie dein Puls hochschießt. Oder du bekommst eine Mail mit dem Betreff „Wir müssen reden“ – und sofort zieht sich dein Magen zusammen. Vielleicht sagst du nichts, vielleicht reagierst du gereizt, vielleicht übernimmst du sofort Verantwortung, obwohl du es gar nicht müsstest.
Später, wenn der Sturm abgeflaut ist, wunderst du dich: „Warum hat mich das so aus der Bahn geworfen? Eigentlich war es gar nicht so schlimm.“
Solche Situationen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie zeigen, wie feinfühlig unser Nervensystem auf mögliche Gefahren reagiert. Stress entsteht nicht erst, wenn die To-do-Liste überquillt oder wir kurz vor einem Burnout stehen. Stress entsteht im Moment der Wahrnehmung: wenn unser Körper entscheidet, ob wir sicher sind – oder bedroht.
Und genau da liegt der Schlüssel. Denn wir sind unseren Reaktionen nicht ausgeliefert. Wir können lernen, sie zu verstehen und zu steuern. Das ist Stressregulation. Und sie ist die Grundlage für echte Resilienz.
Was passiert bei Stress? – Die Biologie dahinter
Stress ist ein uraltes biologisches Programm. Noch bevor du bewusst etwas wahrnimmst, scannt dein Nervensystem die Umgebung: „Sicherheit – oder Gefahr?“ Diese Bewertung geschieht in Bruchteilen von Sekunden.
Kommt die Einschätzung „Gefahr“, übernimmt der Sympathikus – der Teil deines Nervensystems, der dich in Alarmbereitschaft versetzt. Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, Muskeln spannen sich an, Verdauung wird gehemmt. Dein Körper macht sich bereit, zu überleben.
Vier grundlegende Reaktionsmuster stehen uns dabei zur Verfügung:
Fight – Angriff: Energie nach außen richten, Widerstand leisten, in die Konfrontation gehen. Beispiel: Du konterst scharf, wirst laut oder verteidigst dich sofort.
Flight – Flucht: Der Impuls, aus der Situation herauszukommen, Distanz zu schaffen. Beispiel: Du wechselst das Thema, ziehst dich zurück oder vermeidest Kontakt.
Freeze – Erstarrung: Dein System „friert ein“. Gedanken blockieren, Körper wird schwer, du bist wie betäubt. Beispiel: Du sitzt da, kannst nicht reagieren, fühlst dich innerlich abgeschnitten.
Fawn – Anpassung: Eine oft übersehene Stressreaktion: übermäßige Anpassung, Beschwichtigung, Harmoniesuche. Beispiel: Du versuchst sofort, die Situation zu entschärfen, übernimmst Schuld, machst es allen recht.
Besonders der Fawn-Reflex ist für viele Menschen prägend – gerade für diejenigen, die sich selbst als harmonieorientiert oder rücksichtsvoll erleben. Hier zeigt sich die Tendenz, Stress zu regulieren, indem man andere zufriedenstellt. Kurzfristig wirkt das entlastend, langfristig führt es jedoch in Überforderung und Selbstverlust.
Das Entscheidende: All diese Reaktionen laufen reflexartig ab. Dein Nervensystem unterscheidet nicht zwischen dem sprichwörtlichen Tiger im Dschungel und der kritischen E-Mail deines Chefs. Beides kann denselben Alarm auslösen.
Stressmuster & Bindung – warum wir reagieren, wie wir reagieren
Warum reagiert der eine Mensch sofort kämpferisch, während die andere Person eher beschwichtigt oder erstarrt?
Die Antwort liegt in unseren frühen Bindungserfahrungen. Als Kinder lernen wir, wie wir Zuwendung, Sicherheit und Bestätigung bekommen. Manche von uns entwickeln die Strategie: „Ich muss stark sein und kämpfen.“ Andere: „Ich ziehe mich lieber zurück.“ Wieder andere: „Wenn ich es allen recht mache, bleibe ich sicher.“
Diese Muster sind nicht zufällig. Sie waren einmal sinnvolle Schutzstrategien. Doch was uns als Kind geholfen hat, kann uns als Erwachsene blockieren.
Wer gelernt hat, über Anpassung Sicherheit zu gewinnen (Fawn), spürt im Job vielleicht häufig Überlastung, weil er keine klaren Grenzen zieht.
Wer bei Stress erstarrt (Freeze), erlebt Situationen, in denen er sprachlos wirkt – und sich später ärgert, dass er nichts gesagt hat.
Wer in den Angriff geht (Fight), riskiert Eskalationen, obwohl er eigentlich Kooperation wollte.
Wer flüchtet (Flight), verpasst Chancen, weil er unangenehme Situationen zu schnell verlässt.
Es ist wichtig zu verstehen: Diese Reaktionen sind nicht falsch. Sie sind Überlebensprogramme. Aber sie sind nicht immer hilfreich. Resilienz bedeutet deshalb nicht, diese Muster abzuschaffen, sondern sie zu erkennen und bewusst neue Optionen zu wählen.
Resilienz als Fähigkeit
Oft wird Resilienz missverstanden. Viele denken: Resilienz = Härte. „Einfach durchhalten, nichts an sich heranlassen.“ Doch genau das Gegenteil ist der Fall.
Echte Resilienz ist Beweglichkeit. Sie bedeutet, auch unter Druck handlungsfähig zu bleiben. Sie bedeutet, den Raum zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen.
Der Schlüssel liegt in der Selbstwahrnehmung. Wer merkt, dass sein Herz schneller schlägt, dass Gedanken kreisen oder dass er in den Körper hineinhorcht und Anspannung spürt, hat die Chance, den Autopiloten zu unterbrechen.
Das Ziel ist nicht, Stress zu vermeiden. Stress gehört zum Leben. Das Ziel ist, ihn so zu regulieren, dass er uns nicht beherrscht.
Strategien der Stressregulation
Wie gelingt das ganz konkret? Stressregulation ist kein einmaliger Akt, sondern eine Fähigkeit, die wir trainieren können. Die folgenden Strategien haben sich in der Praxis bewährt:
Atem und Körperwahrnehmung
Der Atem ist das einfachste und wirksamste Instrument. Verlängere bewusst das Ausatmen. Spüre deine Füße am Boden oder deine Hände auf der Tischplatte. Damit sendest du deinem Nervensystem das Signal: „Alles in Ordnung.“
Mini-Übung:
Atme tief ein.
Atme doppelt so lange aus.
Wiederhole drei Mal.
Schon nach einer Minute wirst du merken, dass dein Körper sich beruhigt.
Innerer Dialog & Selbstmitgefühl
Viele von uns reagieren auf Stress mit Selbstkritik: „Schon wieder so blöd reagiert!“ Doch Selbstkritik verschärft die Stressspirale. Besser ist ein wohlwollender innerer Dialog: „Kein Wunder, dass ich gerade angespannt bin. Ich darf mir Zeit nehmen.“
Das klingt banal, wirkt aber enorm. Selbstmitgefühl ist kein Luxus, sondern ein Stresspuffer.
Mini-Pausen im Alltag
Stress baut sich oft schleichend auf. Mini-Pausen verhindern, dass er kippt. Eine Minute am offenen Fenster, ein kurzer Spaziergang um den Block, ein Glas Wasser bewusst trinken – kleine Gesten mit großer Wirkung.
Frage dich mehrmals am Tag: „Wo stehe ich gerade? Brauche ich eine Mini-Unterbrechung?“
Klare Kommunikation und Grenzen
Viele Stresssituationen entstehen, weil wir über unsere Grenzen hinweggehen. Besonders Menschen mit Fawn-Muster sagen zu oft Ja. Stressregulation bedeutet hier: lernen, klar zu kommunizieren.
Beispiele:
„Danke für die Anfrage. Ich brauche Zeit, um das zu prüfen.“
„Das kann ich übernehmen, aber dafür muss anderes warten.“
„Ich möchte hier kurz stoppen – ich brauche eine Pause, um das gut entscheiden zu können.“
Solche Sätze sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstführung.
Integration in den Alltag
Resilienz entsteht nicht durch ein großes Aha-Erlebnis, sondern durch kleine Schritte. Übe eine dieser Strategien regelmäßig, bis sie dir vertraut wird. So baust du nach und nach ein Repertoire auf, das dich trägt – gerade dann, wenn es stressig wird.
Fazit & Takeaways
Stress ist nicht das Problem. Das Problem entsteht, wenn wir im Autopiloten bleiben – im Fight-, Flight-, Freeze- oder Fawn-Modus.
Die gute Nachricht: Du kannst lernen, die Signale deines Körpers zu deuten und bewusst zu reagieren. Resilienz bedeutet, flexibel zu bleiben und dir selbst die Hand zu reichen, statt dich von Stress beherrschen zu lassen.
Takeaways:
Stressreaktionen sind biologische Programme – keine Schwächen.
Es gibt vier Grundmuster: Fight, Flight, Freeze und Fawn.
Diese Muster sind Schutzstrategien, aber nicht immer hilfreich.
Resilienz heißt: Beweglich bleiben und den Raum zwischen Reiz und Reaktion nutzen.
Strategien wie Atemübungen, Selbstmitgefühl, Micro-Pausen und klare Kommunikation stärken deine Stressregulation.
Wenn du diese Schritte im Alltag übst, wirst du merken: Stress bleibt, aber er verliert seine Macht. Und genau darin liegt die Freiheit, resilient, handlungsfähig und selbstverbunden zu leben.
Wenn du dich in diesen Zeilen wiedererkennst und das Gefühl hast, dass es Zeit ist, alte Muster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen – dann begleite ich dich gern dabei.
Gemeinsam schauen wir, wie du passende Strategien entwickelst, deine Emotionen und deinen Stress zu regulieren und deine Resilienz zu entwickeln.
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